Babylonische Gefangenschaft: Wofür steht dieser Begriff?
- Aktualisiert: Mittwoch, 30. März 2022 10:25
Der Ausdruck Babylonische Gefangenschaft stammt ursächlich aus der Bibel, wird aber auch für die Zeit angewandt, in der die Päpste den Stuhl Petri vom Vatikan in Rom nach Avignon/Frankreich verlegt hatten.
Begriffserklärung
Wo wird über das Exil der Hebräer (später: Israeliten, Juden) in Babylon berichtet?
In der Bibel. Zum Beispiel in den Büchern:
- Esra,
- Ester,
- dem 2. Buch der Chronik,
- Jeremia
- Daniel sowie, ausführlicher, im
- 2. Buch der Könige (Kap. 24,1 bis 25,30).
Wofür steht der Begriff Babylonische Gefangenschaft sonst noch?
Neben der o. gen. ursprünglichen Herkunft des Begriffs Babylonische Gefangenschaft, gibt es da noch:
- Die Babylonische Gefangenschaft der Päpste, das so genannte „avignonesisches Papsttum“, d.h., die Verlegung des Pontifikats der Päpste von Rom nach Avignon in der Provence/Südfrankreich in den Jahren 1309 bis 1377,
- die Babylonische Gefangenschaft der Kirche. Das bezieht sich auf eine Abhandlung Martin Luthers 1520 über die Infragestellung der sieben Sakramente sowie
- ein Gemälde des französischen Malers Ferdinand Victor Eugéne Delacroix (1798-1863) mit dem Titel „Babylonische Gefangenschaft“ (Captivité á Babylone), das im Palais Bourbon, dem Sitz der französischen Nationalversammlung in Paris, zu sehen ist.
Und dann wird der Begriff manchmal auch benutzt, wenn sich jemand zum Beispiel in einer außergewöhnlichen Abhängigkeit (permanent oder auch nur vorübergehend) von einer Person oder Sache befindet, die eben durchaus vergleichbar mit der – wie auch immer interpretierten – Babylonischen Gefangenschaft sein kann.
Die Bibel
Geschichte
Was führte zur sogenannten Babylonischen Gefangenschaft der Päpste in Avignon?
Vorausgeschickt
Wenn man so will, fing eigentlich alles mit Karl I. von Anjou (1227-1285) an. Der betrieb – in weitestgehender Eintracht mit der Kurie – vehement die Vernichtung der Stauferdynastie. Dafür wurde er von Papst Urban IV. (um 1200-1264) mit der Belehnung des Königreichs Sizilien belohnt – was in der Folge zu einer engen Bindung des Kirchenstaates zu Frankreich führte.
Diese guten Beziehungen wurden getrübt, als zehn Päpste später Papst Bonifatius VIII. (1235-1303) auf den französischen König Philipp IV., den Schönen (1268-1314) traf.
Philipp, der aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten finanziell ständig in den Miesen war, hatte Bonifatius nachhaltig verprellt, indem er beabsichtigte, den französischen Klerus zu besteuern. Ein Unding, dem der Papst 1302 mit seiner – den päpstlichen Machtanspruch ein für alle mal festschreibenden – Bulle (unam sanctam) begegnete. Außerdem drohte er dem Franzosen mit dem Kirchenbann. Was aber alles nichts genutzt hat.
Ein Papst zieht den Kürzeren
Denn, als Antwort darauf, initiierte Philipp 1303 das „Attentat von Anagni“ (Region Latium/Italien). Der Papst wurde
- gefangengenommen,
- aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit der sprichwörtlich „vornehmen, feinen englischen Art“ behandelt,
- konnte aber von den ihm Wohl gesonnenen Bürgern Anagnis befreit werden,
- floh nach Rom und
- verstarb dort noch im selben Jahr (Oktober 1303).
Der Nachfolger, Papst Benedikt XI. (1240-1304), übte sein Pontifikat überwiegend von Perugia (Umbrien/Italien) aus, versuchte zwar, das gestörte Verhältnis zu Frankreich zu kitten, verstarb aber bereits nach gut acht Monaten (Juli 1304) in Perugia. Wahrscheinlich an der Ruhr.
Avignon & Hahnenkämpfe
Quellen:
- "Die Bibel" (Württembergische Bibelanstalt Stuttgart)
- "50 Klassiker: Bibel" (Christian Eckl/Gerstenberg Verlag, Hildesheim)
- "Die Päpste" (Norbert F. Pötzl, Johannes Saltzwedel (Hg)/DVA-Spiegel Buchverlag)