Wer war Lenin, und wieso gilt er als Gründer der Sowjetunion?
- Aktualisiert: Montag, 24. April 2023 07:32
Im Zuge der Oktoberrevolution (nach dem in Russland seinerzeit noch geltenden Julianischen Kalender: am 25. Oktober 1917; seit Februar 1918: 7. November) übernahmen die Bolschewiki (russisch: bolschinstwo = Mehrheit) – mit tatkräftiger Unterstützung der Roten Garden, also bewaffneter Arbeitermilizen und Soldaten – in weniger als vierundzwanzig Stunden die Macht in Russland. Bereits am Nachmittag dieses Tages verkündete ein gewisser Wladimir Iljitsch Uljanow (*1870, †1924), genannt Lenin, einem begeisterten Auditorium unter anderem: „… Genossen! Die Arbeiter- und Bauernrevolution ist vollbracht.“ Und weiter: „… es lebe die sozialistische Weltrevolution …!“
Intro
Was führte zur Machtübernahme der Bolschewiki?
Während in Russland nach dem „Petersburger Blutsonntag“ 1905 die Verbitterung und Frustration über die verheerenden Lebensumstände der unterprivilegierten Bevölkerung sowie mit dem – seinen Aufgaben allem Anschein nach nicht gewachsenen – Zaren stetig wuchs, gingen die Meinungen zu Fragen politischer Mitbestimmung von Arbeitern und Bauern sowie deren Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand bereits schon im 19. Jh. auseinander.
In den Industrieländern entwickelte sich die für Reformen offene Sozialdemokratie, andere wiederum – Kommunisten, Sozialrevolutionäre – setzten auf die „Diktatur des Proletariats“.
Weder mit dem einen, geschweige denn mit dem anderen, wollte Zar Nikolaus II. (*1868, †1918) sich anfreunden, glaubte er doch, weiterhin an der über Jahrhunderte in Russland praktizierten absolutistischen Staatsform festhalten zu können. Im Laufe des Ersten Weltkriegs (1914-1918) eskalierte die Situation.
Nikolaus II. wurde entmachtet, dankte im März 1917 ab, kam – sozusagen – in Isolationshaft und wurde schließlich, im Juli 1918, gemeinsam mit der ganzen Familie, von einem bolschewistischen Erschießungskommando ermordet.
Umsturz & Treibende Kräfte
Wann kam es zur Bildung der Sowjetunion?
Nach dem Sturz Nikolaus‘ II. hatte sich eine „Provisorische Regierung“ gebildet. Zunächst liberal, dann sozialistisch ausgerichtet. Nun, am 25. Oktober / 7. November 1917, nahm die kommunistische Herrschaft in und über Russland ihren Anfang.
Dass es dazu kam, lag zweifelsfrei an der ständig größer werdenden Kluft zwischen einer kleinen, aber immens bevorzugten adelig-bürgerlichen Gesellschaftsschicht, der ein in der Masse gewaltiges Bauern- und Fabrikarbeiterproletariat gegenüberstand. Die Abschaffung der Leibeigenschaft (1861) in Russland lag zum Zeitpunkt des Umsturzes gerade einmal knappe sechzig Jahre zurück.
Durchaus naheliegend also, dass sich dieses Spannungsverhältnis – angesichts der desaströsen Zustände im Allgemeinen sowie im Laufe der russischen Beteiligung am Ersten Weltkrieg im Besonderen – ein Ventil suchte. Folgerichtig machten die Menschen ihrem Unmut Luft, der in der weiter oben bereits erwähnten Oktoberrevolution seinen Höhepunkt erreichte.
In der Folge beendeten die Bolschewiki, die die alleinige Macht im Land im Blick hatten, den russischen Kriegseinsatz, setzten sich im von 1917/18 bis 1922 dauernden Russischen Bürgerkrieg gegen diverse gegnerische Gruppen mit deren divergierenden Interessen durch – wie beispielsweise gegen konservative, demokratische, nationalistische Fraktionen sowie gegen die in ihren Absichten gemäßigter auftretenden Menschewiki (russ.: men'shinstvo = Minderheit), die eine parlamentarische Demokratie anstrebten – und gründeten im Dezember 1922 die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, kurz Sowjetunion/UdSSR (Sowjet = Rat).
Wer waren die tonangebenden Köpfe der ideologischen Umwälzung Russlands?
Der führende Kopf der Bolschewiki (ab 1918: Kommunistische Partei Russlands) war ganz eindeutig Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin); der erste Mann der bewaffneten „Roten Garden“, später umbenannt in „Rote Armee“, war Leo Trotzki (*1879, †1940).
Lenin
Wer war dieser Mann, woher kam er und was trieb ihn an?
Herkunft und Ausbildung
Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, wurde am 22. April 1870 in Simbirsk, einer kleinen Stadt an der Wolga, geboren. Seine Mutter, Maria Alexandrowna (*1835, †1916), hatte deutsch-jüdische Wurzeln, sein Vater, Ilja Nikolajewitsch Uljanow (*1831, †1886), staatstreu und religiös, wurde 1874 – oder, je nach Quelle: 1882 – vom Zaren zum Staatsrat ernannt. Fortan gehörte die Familie zum sogenannten niederen russischen Erbadel.
Lenin, dessen Kindheit zwar streng, dennoch aber – bis auf den frühen Tod des älteren Bruders Alexander (*1866, †1887), der wegen seiner Mitgliedschaft in einer revolutionären Organisation sowie deren geplanter Ermordung Zar Alexanders III. (*1845, †1894) in der St. Petersburger Schlüsselburg gehängt wurde – sorglos und behütet verlief,
- besuchte das Gymnasium in Simbirsk,
- schloss es – sozusagen summa cum laude – ab,
- studierte erfolgreich Jura an der Universität in Kasan,
- arbeitete als Anwalt in St. Petersburg,
befasste sich in Wahrheit aber mit einer unverblümt revolutionär gefärbten Agitation gegen das Zarentum.
Persönlichkeit
Lenin, so heißt es, soll über einen außergewöhnlichen Intellekt verfügt sowie einen ungebremsten Einsatz für die Sache gezeigt haben, und scheint jegliches Schikimicki um seine Person strikt abgelehnt zu haben. Obwohl seine äußere Erscheinung – untersetzt, nicht sonderlich groß und mit unübersehbar breitem Scheitel – keineswegs an einen Adonis denken ließ, bestach er in seinem Auftreten und in seinen Reden durch seine spürbare Willens- und Überzeugungskraft, seine Dynamik und die Gabe, Menschen in seinen Bann ziehen zu können.
Verbannung und Heirat
Lenin besuchte Deutschland, die Schweiz und Frankreich,
- nahm Verbindungen zu marxistisch orientierten Gruppen auf,
- stellte, wieder zurück in St. Petersburg, 1895 die Weichen für den marxistisch orientierten "Petersburger Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse",
- flog auf,
- wurde eingesperrt,
- 1897 nach Sibirien verbannt,
- heiratete dort 1898 – in Ufa, der Hauptstadt der Republik Baschkortostan im osteuropäischen Teil Russlands – eine gewisse Nadeschda Konstantinowna Krupskaja (*1869, †1939),
und wurde 1900 aus der Verbannung entlassen.
Dran bleiben & Zielrealisation
Wie versuchte Lenin, sein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren?
In den folgenden Jahren hielt sich das Paar, dessen Ehe kinderlos blieb, in München, London und in Genf auf. Bereits während dieser Zeit avancierte Lenin zum unumstritten einflussreichsten Drahtzieher der russischen Marxisten.
Er verfasste über eine Handvoll Zeitungsartikel, Essays und umfangreiche Schriften über den Kommunismus im Allgemeinen und in Russland im Besonderen. So zum Beispiel
- „Die Aufgaben der russischen Sozialdemokraten“,
- „Die Agrarfrage und die Marx-Kritiker“,
- „Was tun?“,
- „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“
und andere mehr.
Unter seiner Regie rückten die Bolschewiki (russisch: bolschinstwo = Mehrheit) – so genannt, weil sie 1903 auf dem Parteitag der "Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR)" in Brüssel und London zufällig die Mehrheit bildeten – zu einer eigenständigen Fraktion auf, und entwickelten sich schließlich zu einer über die Maßen rigoros agierenden sowie auf Lenins Ideologie (Leninismus) fußenden Partei.
Wer verhalf Lenin zur Rückkehr nach Russland – und was war das Ergebnis?
Lenin selbst musste Russland 1907 erneut verlassen. Bis 1917 wechselte er seine Aufenthaltsorte (Prag, Krakau, Österreich, Bern, Zürich u.a.m.), wie andere ihr Hemd.
Endlich, quasi am Ende des Tages, gestatteten die deutschen Behörden, die, bedingt durch die Krawalle in Russland an eine Schwächung des Landes glaubten, Lenin die Durchreise mit dem Zug (in einem verplombten Waggon) von der Schweiz über Schweden und Finnland nach Russland.
Am 25. Oktober 1917 bzw. 7. November übernahmen, wie weiter oben schon einmal gesagt, Lenin und seine Bolschewiki die Regierung und gründeten 1922 – unterstützt von Leo Trotzki (*1879, †1940) und Josef Stalin (*1878, †1953) sowie frei nach Lenins Motto: „Alle Macht den Sowjets“ – den ersten und größten kommunistischen Staat weltweit: Die Sowjetunion (UdSSR).
Den ideologischen Überbau der UdSSR bildete fortan die von Lenin zum Marxismus-Leninismus weiterentwickelte Lehre des Philosophen, Journalisten, Gesellschaftstheoretikers und Kapitalismuskritikers Karl Marx (*1818, †1883).
Aus die Maus
Wann und woran verstarb Lenin – und wo "lebt" er weiter?
Zwei Jahre später, im Januar 1924, verstarb Lenin in Gorki, unweit von Moskau, an den Folgen mehrerer Schlaganfälle.
Seinen Vorsatz, mit der „Diktatur des Proletariats“ für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu sorgen oder gar im Sinne der Kommunistischen Internationale eine Weltrevolution zu pushen, ist ihm erwiesenermaßen nicht gelungen. Vielmehr öffneten der Leninismus und der auf ihn folgende Stalinismus der Gewalt, dem Terror und der Unterdrückung Tür und Tor.
Und dennoch – Lenins Ansehen scheint, nicht für jeden, aber doch für einige ewig Gestrige, unkaputtbar zu sein. Noch heute kann der geneigte Besucher Moskaus, wenn er denn unbedingt möchte, dem toten Lenin einen Besuch abstatten.
Dessen mumifizierter Leichnam hat die Terrorherrschaft Stalins, den Zweiten Weltkrieg sowie die Auflösung der Sowjetunion 1991 bis hin zur heutigen Autokratie Putins weitestgehend unbeschadet, also lediglich mit der einen oder anderen Nachbesserung, überstanden. Nach wie vor liegt der vor nunmehr gut einhundert Jahren dahingeschiedene Revolutionär – immer mal wieder konserviert – im Mausoleum auf dem Roten Platz. Unmittelbar vor den Mauern des Kremls.
Quellen:
- "Lenin: Aus den Schriften 1895-1923" (Hermann Weber, Hg./dtv-Dokumente)
- "Sowjetrussland" (Karl-Heinz Ruffmann/dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bd.8)
- "Lenin: Ein Leben" (Victor Sebestyen/Rowohlt Berlin)
- "Die Zeit: Welt- und Kulturgeschichte, Bd. 13" (Duden, ein Imprint von Cornelsen Verlag GmbH)